Das neunte Jahr:

Einige betrübliche Entwicklungen in meinem beruflichen Umfeld ließen mich im Oktober 2011 eine schmerzliche, aber notwendige Entscheidung treffen: Schluss mit Golf! Die Tage wurden kürzer und ich konnte die nötige Zeit leider nicht mehr aufbringen, musste ich doch jeden Tag wieder um die Mittagszeit zuverlässig im Büro erscheinen. MIST!

Aber nicht zu ändern. Hätte ich mich anders entschieden, wäre der Schaden nicht mehr gutzumachen gewesen. Und als ob mich das Schicksal noch extra ärgern wollte, zeigte sich der November 2011 als der wärmste und trockenste aller Zeiten. Während dieser Wochen quälte mich jeder Blick zum blassblauen Herbsthimmel und ich durfte gar nicht daran denken, wie schön es draußen auf den Fairways seien würde. Sogar an Weihnachten und Neujahr lud das milde Wetter ein, die Klamotten ins Auto zu schmeißen und raus zu fahren. Ich tat es nicht. Warum? Ich hatte die klare Entscheidung getroffen, Prioritäten zu setzten und folgte dem stur. Bis Mitte März würden die Schläger in der warmen Wohnung in der Ecke stehen und ich mich ausschließlich mit Geldverdienen beschäftigen. Nicht mal eine klitzekleine Reise war möglich. Zum ersten Mal seit der ersten Mallereise im Jahr 2004. Was für eine Misere. ABER DANN ……. Dann würde ich den Tiger beim Schwanz packen und bis zum Umfallen trainieren.

Der Club hatte ja schon im Herbst ein großes Areal auf dem Gelände umgegraben und uns Mitgliedern ein völlig neu gestaltetes und weit vergrößertes Übungsgelände versprochen. Darauf freute ich mich in diesem golfarmen Winter wirklich! Im Frühjahr 2011 hatte ich ja wirklich brav trainiert, aber in der Rückschau doch wieder zu viel Zeit auf den Runden verschwendet. Insgeheim hatte ich mir im vergangenen Jahr ja vorgenommen, bei den frühen Runden allein draußen auf dem Platz an den verschiedenen Grüns die Annäherungen zu üben. Doch die Realität sah leider anders aus: Ab 6 Uhr früh wuseln die unzähligen Greenkeeper über den Platz und haben ein unauffälliges, aber wachsames Auge auf Leute wie mich, die ihre mühsam gepflegten Greens als Übungsfläche benutzten. Mal einen zweiten Ball hinterher schlagen: OK. Doch mit 10 Bällen immer wieder versuchen, die Fahne zu treffen: Nee, das sehen die Jungs gar nicht gerne und informieren den Marshall, der dann ganz unvermittelt mit seinem Ecart auftaucht und eine Ermahnung vom Stapel lässt. Üben auf dem Platz geht leider nicht wirklich. Das war die Erkenntnis 2011.

Im März 2012 wollte ich auf der superneuen Übungsanlage endlich angreifen und mein „Kurzes Spiel“ in den frühen Morgenstunden bis zum Umfallen üben – üben und noch mal üben…. Um dann im Frühsommer mein HCP endlich gegen 20 drücken zu können. Was für ein schöner Plan! Doch leider sah die Realität wieder einmal anders aus: Der Club teilte im Februar mit, dass die neue Übungsanlage allerfrühestens Mitte Juli bespielbar wäre. Als Ausweichmöglichkeit bot man den Mitgliedern das hintere Ende der Driving Range zum Üben von Pitches und Chips.
Hmmm – nett, aber auf den zweiten Blick halt nur ein kurzgemähter Kartoffelacker. Unser im Wachsen begriffenes Pitchingreen sah im März leider so aus:

Bei diesem Anblick entschloss ich mich, den „Plan“ zu ändern. Dieses Jahr würde vielleicht ein nettes Golfjahr werden – aber sicher kein Jahr für hochfliegende HCP-Träume. Da ich im vergangenen Winter sowieso beschlossen hatte, in Zukunft keinen Unterricht mehr zu nehmen, nannte ich meinen Plan für 2012 im Geheimen:
SPIELE EINFACH NUR RENTNERGOLF UND FREU DICH DES LEBENS!

Doch als ich dann zu Ostern traditionsgemäß zum Treffen mit den alten Freunden nach Semlin fuhr, blutete doch das Golferherz beim Anblick (und natürlich auch der Benutzung) einer perfekt gepflegten Übungsanlagen mit dem dazugehörigen 9-Loch-Kurzplatz. Was für ein Eldorado für den übungswilligen Golfer….. Trotz des miesen Wetters spielten Tino, Thomas und ich brav sogar im ekligen Schneeregen und frönten pitschenass und durchgefroren unserer Golfleidenschaft. Der weltbeste Marshal Bernd war auch wieder vor Ort und trotz Wind und Wetter ständig im Einsatz:

Nach 3 Tagen fuhr ich wieder nach Hause und musste unserem Freund Thomas neidlos und anerkennend zugestehen, dass er sich in den vergangenen 5 Jahren ein wunderbares Golfspiel angeeignet hatte und sich sicher bald in Richtung 16 oder 15 herunterspielen würde. So tolle Schläge, so wunderbare Annäherung und so sichere Putts hatte ich in der letzten Zeit selten gesehen. Bravo, Thomas!

Zu Hause in Gatow sah unser Übungsbereich im April so aus:
Es war abzusehen, dass während der ganzen Saison 2012 die noch immer kniffelige Situation im Job meine Anwesenheit in der Berliner Innenstadt pünktlich um 13 Uhr erfordern würde. Was im Klartext hieß: Wenn überhaupt, dann Golfen um 6 Uhr morgens….. Es gab leider keine Alternative und so fügte ich mich in mein Schicksal und stellte den Wecker 4 mal in der Woche auf halb fünf.

Wenn auf meinen frühmorgentlichen Runden niemand im Rückspiegel zu sehen war (und auch mal für 10 Minuten kein Greenkeeper auftauchte) benutzte ich die regulären Greens auf der Runde natürlich schon, um Chippen und Pitchen zu üben. Und wenn die Luft total rein war, warf ich auch mal eine Handvoll Bälle in einen Bunker und versuchte, halbwegs sinnvolle Schläge zu produzieren. Doch eine gute Übungsfläche ist dadurch leider nicht zu ersetzen. Die Punkte auf meinen Scorekarten rutschten in Bereiche, über die lieber der Mantel des Schweigens geworfen werden sollte. Wie schon im letzten Jahr, musste ich mir eingestehen, dass ich nur durch ständige Wiederholung lernen konnte und die Spielerei auf der Runde zwar Spaß machte, aber leider kein Fortschritt zu erreichen war. Mein Schicksal hieß wohl einfach: RENTNERGOLF Wie furchtbar………..

Im Mai begann endlich jungfräuliches Grün zu sprießen:

Ich las zum dritten Mal das Buch „The Inner Game Golf“ und versuchte, wie Bubba Watson mein eigener Trainer zu sein: Beobachte dein Spiel, verfolge deine Bewegung aufmerksam und versuche durch kleine Variationen in der Bewegung zu lernen. Doch leider scheint der Teufel persönlich das Golfspiel erfunden zu haben, um einen Menschen an den Rand des Wahnsinns zu bringen: Alle Schläge, die im letzten Jahr als vollkommen unspielbar gegolten hatten, flutschten nun plötzlich (im Frühjahr 2012) locker vom Schläger, während die „sicheren“ Kandidaten genauso plötzlich aus heiterem Himmel abkackten und getoppt mit 10 Meter Distanz als Dackeltöter im Gras versickerten.

Manchmal dachte ich auf der Runde: „Warum tust du dir das eigentlich an? Warum stehst du um 5 Uhr morgens auf, hast kein Nachtleben und kaum ein Privatleben? Bist du vollkommen blöde?“ Aber da lag der kleine weiße Ball dann wieder so unschuldig und still im Gras und verlangte meine Aufmerksamkeit. Was sollte ich tun? Ihn ignorieren? Ihm den Rücken zudrehen und auf die ganze Sache pfeifen? Nein, dafür schien es wohl zu spät zu sein. Und so versuchte ich (wie schon zum gefühlten millionsten Mal) ihn einfach nur mit einem perfekten Schlag auf seinen Weg (ins Loch) zu bringen….

Im Juni las ich innerhalb von drei Tagen das Buch „Dream on“ von John Richardson. Es beschreibt die Reise eines irischen Mittdreißigers durch seinen persönlichen Traum von der perfekten Runde. Er wettet, sich innerhalb genau eines Jahres von einem Langweiler-Handicap um die 25 (100 Schläge) zu einer Even-Par-Runde verbessern zu können. OHNE seine Familie zu verlieren und OHNE seinen Job zu gefährden. Jede freie Minute lese ich das Buch und finde mich in vielen Aspekten wieder: Ist es nicht vollkommen gaga, in der Dunkelheit aufzustehen, um dann irgendwann im Morgengrauen auf einem menschenleeren Platz den ersten Ball aufzuteen und ihn mit aller Kraft und immer wieder mit allem Optimismus in die aufgehende Sonne aufs Fairway zu schlagen? Ist es nicht vollkommen meschugge, immer und immer wieder zu versuchen, den perfekten Schlag aufs Green zu chippen und mit einem Putt einzulochen?
John Richardson hat diese Frage immer mit „Nein“ beantwortet und ist seinen Weg immer weiter bis zur perfekten Runde gegangen. Und hat sein Ziel ereicht.

Natürlich weiß ich beim Lesen, dass ich für solche Eskapaden zu alt und zu untalentiert bin und außerdem ja auch noch Brötchen verdienen muss. Aber in einem Punkt bin ich mit Mister Richardson einer Meinung: Das Golfspiel ist zu schön und zu edel, um es als Hacker und Topper zu verhunzen. Dieser wunderbare Sport hat es verdient, dass der Spieler alles versucht, um eine harmonische Bewegung zu erlernen, die den kleinen weißen Ball elegant durch den Himmel fliegen und mit einem sanften „Plopp“ auf dem kurzgemähten Green aufschlagen lässt.

Mitte Juni: Es tut sich was!

Mitte Juli: Das Werk ist vollbracht!

Nun wäre es natürlich klug gewesen, bis zu diesem Zeitpunkt beim „Plan“ zu bleiben und auf Turniere zu verzichten, da ja in den vergangenen Wochen kein sinnvolles Training möglich gewesen war. Ist Tina klug? Nee…… Heimlich still und leise hatte ich bis Ende Juli bei den Turnieren Pleite nach Pleite absolviert und mein Handicap in Grund und Boden ruiniert. BÄH! Was für ein Blödsinn!

Aber nun war es passiert und es blieb mir nichts anderes übrig, als wirklich am frühen Morgen Stunde um Stunde auf der schönen neuen Anlage zu trainieren, um den Schaden vielleicht noch gut zu machen. Beim Head-Greenkeeper Manfred hatte ich um einen Baumstamm gebettelt, auf dem mal am Rande des Pitching-Greens eine Pause zum Stulle-Essen gemacht werden konnte. Und tatsächlich: Tina bekam ihren „persönlichen“ Frühstücksbaumstamm:

In der Saison 2012 habe ich gelernt, wie stark der mentale Einfluss auf das Golfspiel wirklich ist. Und es war eine harte Lektion. Nachdem ich mich im Frühling 2011 von einem HCP 29 auf 25 heruntergespielt hatte, um die Seniorenmeisterschaft mitspielen zu können, hatte ich während der beiden Spiele im Zuge dieses Wettbewerbs dann total versagt. Und zwar richtig bitter: Mehrere Abschläge toppten (oder sockten) erbärmlich links in den Wald und ich schämte mich vor den anderen Ladies zu Tode. Und jedes Mal, wenn ich in den folgenden Monaten den Ball aufteete und mich zum Schlag bereit machte, krampfte die Angst den ganzen Körper: Schlag bloß nicht daneben, hau bloß nicht in den Wald. Und wie auf Kommando passierte natürlich genau das Befürchtete. Mein Abschlag war ruiniert und ich schaffte es im Laufe der Saison nicht mehr, die Vorgabe vom Frühsommer auch nur annähernd zu erreichen. Den Tiefpunkt der ganzen Misere bildete ein Turnier ein ganzes Jahr später, im Sommer 2012 mit 20 Nettopunkten. 6 Abschläge waren grausam in den Boden gehauen und ein paar Meter voraus im Gras versickert liegen geblieben. 6 Striche auf der Scorekarte zeugten von meiner Panik beim Abschlag. Mit hochgezogenen Schultern strebte ich an der lustigen Damenriege auf der Terrasse vorbei zum Parkplatz und die Golfausrüstung war wieder einmal in Gefahr, bei der Rückfahrt über die Havelbrücke im träge dahinfließenden Fluss versenkt zu werden. Es dauerte genau ein Jahr, bis ich diese Blockade aufheben konnte. Erst im August 2012 hatte ich endlich herausgefunden, warum die Abschläge so grausam versagten und lernte eine Technik, den Fehler zu vermeiden. Und genau in dem Moment, als mein Kopf sagte: „Du kannst das“, flogen die Bälle wieder, als ob nie etwas gewesen wäre.
Genauso flogen die Bälle (kein Problem) aus dem Bunker und genauso chippten sie an die Fahne. Im Herbst 2012 spielte ich einige wirklich schöne Runden allein, aber endlich auch wieder mit Freunden aus dem Club, denen ich das Gelernte nun auch zeigen wollte. Der Golflehrer Billy Goodson hat mir einmal den Rat gesagt:
„Du musst dich auf den Schlag freuen.“

Ich begann diesen Satz wirklich zu fühlen und stolz und voller Zuversicht an den Ball zu treten, um ihn zu schlagen: Egal ob als Abschlag, als Pitch oder als Fairwayholz. Natürlich war mir klar, dass ich einige Schläge schlicht nicht spielen konnte: Einen Bunkerschlag von der hinteren Kante, einen hohen Schlag über 100 Meter und auch komplizierte Transportschläge über lange Distanzen auf dem Grün überforderten mich völlig. Mir war klar, dass da noch viel Arbeit vor mir lag.

Im September 2012 spielte ich 2 Turniere hinter einander mit jeweils 39 Punkten  und verbesserte mich am Ende einer langen Saison auf ein neues HCP von 24,8. Das war wirklich ein langer Weg über (Sie werden es nicht glauben) 110 gespielte Runden. Und mindestens 80 davon allein und im Morgengrauen. Doch als Belohnung hörte ich dann im Herbst 2012 von ganz unterschiedlichen Flightpartnern mehrmals genau denselben Satz: „Du hast aber einen schönen Schwung….“

Im Oktober nahte das Ende der Saison und ich spielte die ersten Runden im unwirklichen Frühnebel, wenn du den Ball auf dem Green nur „aufploppen“ hörst, aber keine Ahnung hast, wohin er wirklich geflogen ist. Das sieht dann so aus:

Im Sommer 2012 hatte ich verschiedene berufliche Entscheidungen getroffen, die am Ende darauf hinausliefen, dass ich in Zukunft nicht mehr voll arbeiten würde. Ich hatte mein teures Büro in der Innenstadt gekündigt und mir eine kleine, bezahlbare Alternative gesucht. Berufliche Überlastung würde in diesem Winter nun defintiv nicht mehr als Ausrede herhalten können: Ich hatte beschlossen, ins Wintertraining zu gehen! Solange der Platz bespielbar sein würde, wären mindestens 2 Runden in der Woche Pflicht und eine Übungseinheit auf der Drivingrange in der Stadt. Das nächste Jahr – das „Zehnte“ – würde darüber entscheiden, ob ich es schaffen würde, die „magische“ 20 zu brechen und in den Kreis der wirklichen Golfer vorzudringen, oder ob ewige Mittelmäßigkeit das Maß der Zukunft sein würde. Wie sagt der „Kaiser“: Schaun ‚mer mal….. In diesem Sinne verabschiede ich mich nach einer langen Saison und freue mich auf ein Wiedersehen (Wieder-Lesen) im nächsten Jahr.