Ende Januar 2008 stand die nächste Trainingsreise mit meinem Pro Ralf Jungbluth auf dem Programm. Diesmal waren 18 Anmeldungen zusammen gekommen und Ralf konnte an einem Montagmorgen um 6 Uhr früh auf dem Flughafen Berlin-Tegel mit zwei Co-Trainern und seinem hoffnungsvollen Haufen begeisterter Golfer ins Flugzeug steigen.
Das Ziel: Islantilla-Golf in Südspanien, kurz hinter der portugiesischen Grenze. Mit Mietwagen fuhren wir vom Flughafen Faro über die Grenze und erreichten unter strahlend blauem Himmel das Golfressort. Der erste Nachmittag stand zur freien Verfügung.
Ich schmiss meine Klamotten in den Schrank, packte das Bag und fragte an der Rezeption nach der Driving Range. Eine Stunde nach Ankunft stand ich in der warmen Sonne und übte zwei Stunden lang diese blöden kleinen Bälle über eine sanfte Anhöhe in die Nähe der Fahne zu chippen. Immer wieder und immer wieder. Und leider auch wieder nur mit mäßigem Erfolg: Getoppt: zu weit! Getroffen: zu kurz! Doch egal, am nächsten Morgen sollte das konzentrierte Training in 3 Gruppen beginnen. Treffpunkt um 8.30 auf dem Übungsplatz.
Ich stellte den Wecker auf halb sieben und zog nach dem Klingeln irritiert die Gardine der Balkontür zurück: Direkt vor meinem Fenster prangte ein riesiger, silberner Mond am sternklaren Himmel. Nanu? Hatte ich mich in der Zeit geirrt? Sommerzeit und Winterzeit verwechselt? Die Uhr falsch gestellt? Aufstehen bei Mondlicht? was für eine komische Nummer. Erst der Teletext im Fernseher konnte mich überzeugen, dass es wirklich schon halb sieben Uhr und Zeit zum Aufstehen war. Um halb acht ging ich zum Frühstück. Draußen schien immer noch ein silberner Mond, im Restaurant scharrte sich die Truppe aber schon um das Buffet. OK – dann gewöhnen wir uns mal an frühstück bei Mondlicht, dachte ich und lud Brötchen und Wurst auf den Teller.
Um halb Neun standen wir frierend und etwas verloren am Übungsplatz. Der Caddymaster hatte natürlich verschlafen und die Ballmaschine war noch verschlossen. Preußische Pünktlichkeit zu früher Stunde irritierte die spanischen Golfbediensteten genauso, wie mich ein Frühstück bei Mondschein. Nun gut! Aufwärmtraining, Teilung in drei Gruppen, kurzes Spiel, Putten, langes Spiel und um 10 Uhr Abschlag am ersten Tee. Der erste Tag sollte von den 5 Flights als Texas Sramble gespielt werden. Ein guter und besonnener Gedanke des Pros: Alle schlagen, nur der beste Ball wird weiter gespielt und alles ist gut. Am Abend wurden Preise für das beste Team verteilt und alle gingen zufrieden ins Bett.
Am nächsten Tag sollte aber doch die harte Realität des Golferlebens Einzug halten: Von den 18 Teilnehmern der Reise waren 7 absolute Anfänger! Später sollte sich herausstellen, dass zwei Spieler nach der PE-Prüfung niemals einen Platz gespielt hatten und die anderen auch nicht den leisesten Hauch einer Ahnung hatten, wie schnell, hart und konsequent Golf auf internationalen Plätzen gespielt wird, auf denen in der Regel mindestens Handicap 36 vorausgesetzt wird. Auf dem Plan stand: Einzelzählspiel nach Stableford. Im Laufe des zweiten Tages wurden unsere 5 Flights natürlich von verschiedenen Privatspielern wutschnaubend überholt und als nach weit über 6 Stunden alle im Clubhaus eingetrudelt waren, regierte bei den Anfängern der totale Frust. Irgendwie schienen alle geglaubt zu haben, unserer deutschen Reisegruppe gehöre der ganze Golfplatz und es wäre vollkommen wurscht, mit wie vielen Schlägen der kleine Ball nun am Ende ins Loch fallen sollte. Ralf hatte Mühe, die Emotionen zu beruhigen, ohne jemandem auf den Schlips zu treten. Da nach diesem Chaostag nach 18 Löchern 7 (!) Punkte auf meiner Scorekarte standen, hielt ich einfach die Klappe und wartete auf bessere Zeiten. Und im Angesicht des vollkommen verkorksten Rückschwungs beim Abschlag war das ja auch kein Wunder! Tina schlägt den armen Ball tot………….
Und doch erlebte ich zwei Tage später mein ganz persönliches Glück: Natürlich gab es auch während dieser Reise wieder einen „freien“ Tag und natürlich hatte ich wieder einmal weder Lust nach Sevilla zu fahren und die Kathedrale zu bewundern, noch hatte ich Lust, auf der Terrasse Doppelkopf zu spielen. Ich wollte Golf spielen, was sonst?
Mit dem Co-Trainer Bernd spielte ich an diesem Vormittag 18 Löcher mit mäßigem Erfolg. Dann verabschiedete er sich, um sein Glück am Strand zu suchen. Mausallein spielte ich weiter und startete von neuem an der Eins. Der Score wurde immer besser. Am letzten Loch der Front Nine spielte ich mit zwei fremden Damen und erreichte ein Bogey. Das nächste Loch wieder allein. Ein Par 4 mit 6 Schlägen. OK. Das nächste Loch auch allein. Par 3 mit vier Schlägen. Auch OK. Hinter mir holte ein Dreier-Flight mächtig auf, vor mir laborierten 4 ältere Engländer endlos an verschlagenen Drives und krochen auf der Suche nach ihren Bällen hoffnungsvoll und ausdauernd durchs spanische Gesträuch. Auf die Idee, mich durchzuwinken kamen sie nicht und so war ich in der Mitte zwischen 2 Flights gefangen.
Das nächste Par 5 ging und ging nicht voran. Ich signalisierte der Gruppe hinter mir, abzuschlagen und verkroch mich hinter den Bäumen. Nach vorne konnte ich nicht entkommen, die vier englischen Gentleman hatten die Ruhe weg. Von hinten liefen drei Spanier im schnellen Schritt über das Fairway auf mich zu. Mitte dreißig. Das Bag tragend, die Raverbrille auf dem Cap und das Handy am Ohr. Lieber Gott im Himmel!
Die hatten bei ihrer nachmittäglichen Runde nun wirklich nicht auf eine alte Lady meines Kalibers gewartet. Nicht mal die Etikette konnte ein Lächeln der Begrüßung auf ihre Gesichter zaubern. Nur einer der Drei sprach ein paar Worte gebrochenes Englisch und signalisierte mir, nachdem er einen Blick nach vorn auf die suchende Truppe geworfen hatte, dass sie trotz allem gewillt waren, mich mitzunehmen. Na ja, wegbeamen konnten sie mich ja nun leider auch nicht. Und so standen wir auf dem Fairway verteilt circa 80 Meter von einem etwas erhöhten und von einem riesigen Bunker bewachten Green entfernt und warteten, dass die Gruppe vor uns zum nächsten Loch entschwand. Als die Reihe an mir war, packte ich mein Eisen 5 und ließ ein unhörbares Gebet in den Himmel schweben:
„Bitte, lieber Gott! Bitte, lass den Ball nur dieses eine Mal fliegen. Bitte!“
Und ob der Schutzgeist der Golfer seine Hand im Spiel hatte, oder vielleicht auch nur die vorangegangenen 29 Löcher das perfekte Training gewesen waren, flog der kleine Ball unter den Augen der genervten Jungs wirklich und wahrhaftig eine vollkommene Linie weit hinaus in den Himmel, überschritt den Zenit und plumpste sanft ein paar Meter hinter der Fahne auf das Vorgrün. PUHHHH! Mein Herz klopfte bis zum Hals! Es folgte das beste Spiel meiner bisherigen, mit Verlaub, ziemlich mäßigen Karriere als Golfer: Bogey, Bogey, Par. Kein einziger Fehlschlag! Lange Zauberbälle mit den Hölzern, perfekte Eisen aufs Green und punktgenaue Putts. Die drei Spanier, deren Handicaps sich offensichtlich zwischen Einstellig und vielleicht 15 oder 16 bewegten, konnten natürlich nicht ahnen, was diese Schläge für mich bedeuteten. Und ganz besonders nach den vielen Tiefs des vergangenen Jahres. Als ich am Par 3 als einzige mit dem dritten Schlag einlochte, erntete ich sogar ein aufmunterndes: „Very good.“
Als am nächsten Par 4 der Abschlag nach 50 Meter versickerte und auch das Holz versagte, beschloss ich innerlich, das Schicksal nicht weiter herauszufordern und verabschiedete mich mit einem Blick auf die Uhr von meinen Mitspielern: „It’s late. I have to leave for Dinner.“
Vor Glück fast besoffen, lenkte ich das E-Cart gen Heimat, vergaß aber nicht, wieder ein stilles Gebet in den Orbit zu schicken. Nur, dass es diesmal ein Dank, kein Wunsch mehr war:
„Danke, lieber Gott! Danke für dieses Spiel.“
Beim Abendessen fiel ich Ralf um den Hals und strahle wohl wie ein überdimensionales Honigkuchenpferd: „Ralf, ich hab gerade das beste Golf meines Lebens gespielt. Es war unglaublich!“ Natürlich freute er sich mit seiner Schülerin und ließ trotz Bärenhungers eine kurze Schilderung des gerade Erlebten über sich ergehen.
Als am letzten Tag der Reise noch ein weiteres Par und sogar ein Birdie gelangen, verabschiedete ich mich zufrieden und glücklich vom Islantilla-Golf-Course. Wohl wissend, dass dieser Platz mich wohl kein zweites Mal wieder sehen würde. Zugebaut bis zum Geht-Nicht-Mehr und umgeben von verschandelten Aussichten auf Touristenburgen, bot er nichts, was eine Wiederholung des Besuches nötig gemacht hätte. Mit mir stiegen 17 glückliche und braungebrannte Golfer in die Mietwagen. Bis auf einen gestauchten Daumen, ein paar verdorbene Mägen (Tinas Lebensweisheit hatte sie auf verkochte Fischgerichte zum Abendessen verzichten lassen) und unzählige Flohbisse, gab es keine nennenswerten Kolateralschäden bei der Truppe zu verzeichnen. Ralf dankte bei der Abfahrt wohl auch innerlich seinem persönlichen Schutzgeist, dass sein Wagnis mit 7 Anfängern zu reisen, am Ende doch gut ausgegangen war.