Durch diese Kurzreise zogen sich verschiedene Ströme von Frustrationen: Das Wetter ließ uns ziemlich böse im Stich und das Hotel Lindner hielt auch nicht in allen Belangen, was der erste Eindruck versprach. Na ja. Schwamm drüber, halt eine Erfahrung mehr……

Doch wirklich niederschmetternd – und das ging mir wirklich ziemlich heftig an die Substanz – war am ersten Tag auf der Driving Range die Erkenntnis, dass ALLES, aber auch wirklich ALLES mühsam in den vergangenen Sommermonaten Erlernte im Vergessen verschwunden war. Ich stand wie ein Idiot auf dem Übungsgelände des Golfclubs Bendinat und wäre am liebsten auf der Stelle wieder nach Hause gefahren: Kein Holz flog, kein Eisen funktionierte auch nur im Entferntesten, wie es hätte sollen und alle kurzen Schläge versickerten oder knallten getoppt in die Ferne.

OK – ich hatte Ähnliches befürchtet! Anfang Oktober hatte ich in Berlin Gatow die letzten zwei 18-Loch-Runden gespielt. In den folgenden Wochen ging es beruflich so drüber und drunter, dass nicht einmal das kleinste Zeitfenster für 1 oder 2 Stunden auf dem Übungsgelände übrig blieb, obwohl mein wehmütiger Blick oft über den strahlenden Berliner Herbsthimmel wanderte. Es ging einfach nicht. Golf und alles was damit zusammenhing, verschwand hinter einer undurchdringlichen Wand aus Stress, Zeitmangel und unerfreulichen Problemen in Beruf und Familie. In einem Wort: Golf existierte nicht mehr. Und dann machte es „Bumms“ und ich stand wieder auf einem einem Golfplatz, in der Ferne glänzte das Mittelmeer und ein paar Meter rechts und links von den Abschlagmatten wiegten sich die Palmen im Wind. Back again. Doch leider ohne die Fertigkeiten und Fähigkeiten, die ich mir im vergangenen Sommer so mühsam erarbeitetet hatte. Ich stand (golftechnisch gesehen) quasi nackt auf dem Übungsgelände und stümperte verzweifelt in die Gegend. Natürlich setzten sich das Drama dann auch auch nahtlos auf dem Course fort. 7 Striche auf den ersten 9 Löchern, insgesamt 17 Punkte mit Ach und Krach. Der Frust hatte mich komplett in seiner Gewalt.
Zurück im Hotel stellte ich mir die existenzielle Frage:
WARUM IST DER GOLFSCHLAG NICHT AUTOMATISIERBAR UND NICHT ABSPEICHERBAR?
Und fand natürlich keine Antwort. Halt – eine hilflose, verzweifelte Antwort fand ich schon und die lautete: Du hast immer noch nicht so geübt, dass die Bewegungsabläufe wirklich in dein Unterbewusstsein eingegangen sind. Und ganz besonders alle kurzen Schläge rund um’s Grün. Ich hatte ein Buch im Reisegepäck, dass ich an jedem Tag mit einem Kapitel auf der Driving Range durcharbeiten wollte und teilte diesen Entschluss meinem Reisegefährten Tino beim Abendessen mit:
„Tino, so wird das nix. Lass und jeden Morgen konzentriert eine Stunde Chippen und Pitchen üben.“
Nicht wirklich begeistert ging Tino mit dem Handbuch „Golf – das kurze Spiel“ schlafen. Am nächsten Morgen fing ich hoffnungsfroh und engagiert das Training auf dem Chipping Green vom Golfclub Poniente an. So, wie es im Handbuch beschrieben war. Drei Längen, 3 Eisen und das Ganze konzentriert und über eine Stunde. Soweit – so gut! Doch leider folgte auf dem Platz das gleiche Debakel, wie am Tag zuvor: Alle kurzen Schläge versagten auf der ganzen Linie. Einzig ein kleiner Lichtblick erfreute mein Golferherz: Hatte ich doch aus den mitgebrachten Aufzeichnungen über die Runden im vergangenen Jahr den Fehler bei den Eisenschlägen herausgefiltert und auf dem Platz erfolgreich korrigiert. Darauf war ich dann wenigsten ein ganz kleines Bisschen stolz. Sodass ich mich gerade noch über die 18 Loch schleppen konnte, ohne mich in einem der kleinen Teiche zu ertränken oder in einer Schlucht am Wegesrand zu Tode zu stürzen.

Am 3. Tag hingen dicke Regenwolke über Mallorca und der grau gelockte Zerberus im Golfclub Son Thermens schüttelt nur resigniert sein Haupt: Der Platz wäre leider gesperrt. Tino konnte es nicht fassen. Was nun folgte, machte unserer Golfverrücktheit alle Ehre: Anstatt wieder ins Hotel zurückzufahren und den Tag gemütlich mit einem guten Buch am Pool zu verbringen, blickten wir suchend in den mallorcinischen Himmel und entdeckten weit, sehr weit in der Ferne kleine helle Flecken zwischen den bedrohlich geballten Wolken.
„Vielleicht ist das Wetter im Norden besser?“
„Na ja, sieht doch fast so aus. Lass uns nach Son Severa fahren. Der Platz fehlt uns doch sowieso noch.“
Gesagt, getan. Wir fuhren wirklich und wahrhaftig 1,5 Stunden quer über die Insel, um am anderen Ende genau das gleiche vom Caddymaster zu hören: „Der Platz ist bis auf Weiteres gesperrt…“
Mist, so ein verfluchter Mist aber auch! Am Strand rollte ein dunkles, unfreundliches und bedrohliches Meer gegen den Strand:

Wir fuhren brav die 1,5 Stunden wieder zurück quer über die Insel. Tino konnte einfach nicht loslassen und steuerte zum 2ten Mal an diesem Tag den Golfclub Son Thermens an und kam tatsächlich mit einer guten Nachricht aus dem Clubhaus zum Auto zurück: Wir könnten spielen, allerdings nur zu Fuß. Die Elektroautos würden den aufgeweichten Boden zerwühlen. Nach einem Blick auf den rabenschwarzen Himmel sprach ich aber ein Machtwort:
„Nein, tut mir leid. Ich geh da nicht raus in die Berge und lass mich irgendwo da oben im Unwetter bis auf die Haut durchnässen. Nee Tino, bei aller Liebe nicht. Das geht zu weit…“
Tino zog den Kopf ein und beugte sich meinen harschen Worten. Aber er tat mir ja auch leid und so versuchte ich, doch noch einen Ausweg zu finden:
„Lass uns runter ans Meer fahren. Vielleicht ist da das Wetter besser und wir können spielen.“Und tatsächlich, nach einem im Auto verbrachten halben Tag und 200 nutzlos gefahrenen Kilometern, landeten wir am Nachmittag auf dem Hausplatz unseres Hotel und durften in schüchtern aufblitzendem Sonnenschein doch noch im Eiltempo 18 Löcher spielen. Gott sei Dank!
Leider peitschte am nächsten Morgen nun endgültig eine Schlechtwetterfront über die Insel und machte alle Ambitionen in Richtung Golfspiel zunichte. Der Tag verging nun wirklich lesend im Bett und im Wellness-Bereich des Hotels. Am letzten Tag schafften wir noch 9 Loch am frühen Morgen in Bendinat, bevor wieder der Regen einsetzen und am Mittag unser Flieger durch eine undurchdringliche Wolkensuppe in Richtung Heimat abhob. Hmmm, nach dieser Pleite stellten wir Mallorca als Winterreiseziel trotz aller Vorteile der schnellen Erreichbarkeit auf den Prüfstand. Ein Blick auf die Kosten, die für 4,5 Tage nun wirklich ziemlich heftig waren, offenbarte sich doch ziemlich deutlich, dass hier vielleicht eine Veränderung notwendig wäre. Als hätte ich es geahnt, hatte ich ein paar Wochen vorher schon eine zweite Winterreise nach Gran Canaria gebucht.

Dezember 2008 – Gran Canaria:

Der erste Blick aus dem Fenster im 11. Stock des Salobre Sheraton Hotels – ein gigantischer, in den gesprengten Felsen gebauter Granitquader – ließ nur einen Gedanken zu:
„Zu welch unglaublichen Zerstörungen ist der Mensch bloß fähig….“ Nun ja, natürlich haben die Menschen schon in grauer Vorzeit die Sphinx in den Wüstensand gesetzt und ein grüner Teppich zum Golfspielen ist ja nicht von Hause aus mit Zerstörung gleichzusetzen. Aber es ist schon erstaunlich: So sieht die Landschaft von der Rückseite des Hotels aus:


Und so sieht dieselbe Landschaft aus, nachdem sie der Mensch nach seinem Willen geformt hat:

Nun muss aber auch der Ehrlichkeit halber zugefügt werden, dass es natürlich nicht ausreicht, in diese unwirtliche Mondlandschaft ein paar gefällige Pflanzen, einige Kilometer kurz geschnittenen Rasen und diverse gepflegte Wege und plätschernde Wasserläufe zu bauen. Nein! Jede einzelne Palme, jeder Strauch und jeder angepflanzte Busch sind an ein Bewässerungssystem angeschlossen und jede Nacht wird jeder einzelne Quadratmeter des gesamten Areals aus unzähligen Düsen im Boden stundenlang so lange besprenkelt, bis am Morgen ein frischer, feuchter Schleier über den 18 Fairways, den Wegen, den Übungsanlagen und sogar über dem Parkplatz für die E-Carts liegt. Was für ein Aufwand! Was für ein Aufwand, damit wir kältegeplagten Mitteleuropäer für ein oder zwei Wochen dem tristen Grau der Heimat entfliehen können, um unseren geliebten Sport unter strahlend blauem Himmel und angenehmen Temperaturen zu frönen. Und natürlich, um uns zu verbessern! Mit diesem Plan war ich ja nach Gran Canaria gereist und hatte ein Reisepaket mit unbegrenztem Spielrecht gebucht. Leider stellte sich schon am ersten Tag heraus, dass meine Idee, jeden Tag mindestens 2 Stunden konzentriert am Chipping-Green das kurz Spiel zu üben, nicht in die Tat umzusetzen war, da die gesamte Übungsanlage wegen Bauarbeiten gesperrt war. Es gab zwar eine Ausweichmöglichkeit auf einem anderen Platz, die Hin-und Her-Fahrerei missfiel mir aber komplett. Ok – dann eben nicht, es geht ja auch anders: Ich spielte 9 Tage jeden Tag von morgens um 9 Uhr bis abends 5 Uhr Golf ohne eine einzige Pause. 18 Loch am Vormittag und 18 Loch am Nachmittag. Schon am dritten Tag grinsten die Caddyjungs nur noch, wenn sie mich sahen: Eine ältere Lady, die von morgens bis abends Golf spielt und dabei keine Pause macht, nicht zu Mittag isst und auch noch mausallein über den Course brettert, so etwas hatten sie wohl noch nicht so oft zuvor gesehen.


Die vormittägliche Runde wurde meist in bunt zusammen gewürfelten Flights gespielt. Holländer, Iren, Engländer und Deutsche bevölkern wohl überwiegend die kanarischen Golfplätze im Winter. Ich bemerkte schnell, dass ich im Gegensatz zu meiner ersten Allein-Reise 3 Jahre zuvor, viel selbstsicherer und spielstärker geworden war. Natürlich toppten und floppten auch hier wieder die üblichen Verdächtigen, um aber im Kontext mit den anderen Spielern mitzuhalten, reichten die guten und manchmal sogar perfekten Schläge mittlerweile allemal. 9 Tage lang spielte ich kaum einen Ball von einer ebenen Stelle! Wer auf dem Salobre Golf Course nicht das Spielen von seitlichen Hanglagen, berauf und bergab lernt, ist selber schuld. Leider hatte ich nur das Lehrbuch für das kurze Spiel im Reisegepäck und vermisste schmerzlich Ratschläge und Tipps für die vollen Schläge aus den schwierigen Lagen. Schade, aber nicht zu ändern – daran hatte ich nicht gedacht. Auf diesem Bild sind die Höhenunterschiede sehr schön zu sehen: Ich stehe mit der Kamera am höchsten Punkt hinter den Greens der beiden Spielbahnen, die sich nebeneinander von tief unten aus dem Tal empor winden. Die beiden kleinen roten Punkte sollen die Abschläge markieren. Nicht schlecht, oder?
Und dabei handelt es sich hier nur um den „einfachen“ Südkurs! Ein Tal weiter windet sich der Nordkurs so steil durch die Berge, dass alle, die ihn gespielt haben, total genervt auf den einfacheren Platz zurückkamen. Ich ersparte mir die Erfahrung unüberwindlicher Schluchten und unzähliger verlorener Bälle und verbrachte meine Zeit mit lösbaren Aufgaben. Apropos „verlorene“ Bälle: Die zweite, nachmittägliche Runde spielte ich auf dem leer gewordenen Platz meist allein und entdeckte schnell, dass sich an einer besonders steilen Schlucht verlorene Bälle in Massen in den Kakteen tummelten. Von keiner Menschenseele beobachtet und in dem Glauben, das Ei des Kolumbus gefunden zu haben, erkraxelte ich mit der Ballangel in der Hand die steile Felswand und fischte einen Ball nach dem anderen aus den stacheligen Biestern. Bis – ja bis ich den Halt verlor und an einer besonders steilen Stelle auf dem bröckeligen Stein abrutschte, mit voller Wucht auf den Arsch knallte und Füße voraus in einen riesigen Kaktus schlidderte! Scheiße! Es tat so höllisch weh, dass ich einen Moment nicht koordinieren konnte, ob ich mich ernsthaft verletzt hatte. Gott sei Dank, und das verdanke ich nur meiner Eitelkeit, trug ich an beiden Händen Handschuhe und bewahrte mich so vor einer bös zugerichteten rechten Hand. Doch mein rechtes Bein sah schlimm aus: Das Blut lief die Wade herunter und die Stacheln des blöden Kaktus steckten schmerzhaft vom Knöchel bis zum Knie im Fleisch.
Verdammter Mist, verdammter Mist!
Ziemlich zitterig pulte ich mich selbst aus der misslichen Lage und kletterte vorsichtig zurück auf festen Boden. Es fanden sich Pflaster im Golfbag und nachdem der erste Schreck verraucht war, spielte ich friedlich die vier Löcher bis zum Ende der Runde weiter. Allerdings um eine Lektion reicher geworden: Erst denken, dann Bälle angeln!

An den letzten Tagen spielte ich die vormittägliche Runde mit einem älteren Herrn aus Köln zusammen, der schon sage und schreibe 40 Dienstjahre (golftechnisch gesehen) auf dem Buckel hatte und mit Handicap 15 unterwegs war. Wir vertrugen uns prima, obwohl es ihm natürlich schwer fiel, nicht mit guten Ratschlägen zu versuchen, meinen immer noch getoppten Holzschlägen Besserung beizubringen. Natürlich kam am Anfang alle 2 Minuten der altbekannte Rat, der mich schon bei anderen Spielern dieser Generation zur Weisglut getrieben hat:
„Nicht dem Ball hinterher kucken – Kopf unten lassen….“
Grrrrrrrrrr, das weiß ich doch selber und der blöde Rat mit dem Kopf unten lassen ist doch wirklich Schnee von gestern. Es geht darum den Körper auf einer Ebene zu bewegen und nicht wie im Fahrstuhl hoch und runter zu fahren. Egal, ich konnte mich mit Hilfe eines wohltemperierten Wutanfalls durchsetzen und wir einigten uns darauf, auf gegenseitige Belehrungen zu verzichten. Beim Abschied auf dem letzten Grün bedankte ich mich bei meinem Mitspieler für eine wirklich wichtige Erfahrung:
„Danke Dieter, das hat wirklich Spaß gemacht und ich habe in den vergangenen Tagen etwas ganz Wichtiges gelernt: Sogar nach 40 Jahren haben Sie den Dreh immer noch nicht hundertprozentig raus. Da hab ich ja nun mal noch locker 35 Jahre, um dran zu arbeiten…“
Wir gaben uns lachend die Hand und ich fuhr zurück in mein wintergraues Berlin.